(Erschienen in der Praxis Kommunikation, Februar 2023)
Von wegen Zweisamkeit: Einsam in der Beziehung? Wie sexuelle Unlust zur Entfremdung führt – und was du dagegen tun kannst
Wenn du in einer Beziehung bist, aber dich trotzdem einsam fühlst, bist du damit nicht allein. In meiner Coaching-Praxis begegne ich diesem Phänomen regelmäßig: Paare leben nebeneinander her, funktionieren im Alltag, doch echte Nähe und Intimität fehlen. Häufig steckt dahinter ein Thema, das viele lieber vermeiden – Sexualität.
Sexuelle Probleme sind oft der unsichtbare Kern von Beziehungsproblemen. Sie können zu Missverständnissen, Entfremdung und sogar zur Trennung führen, wenn sie nicht angesprochen werden. Doch genau hier liegt der Schlüssel: Sich selbst und den eigenen Partner besser zu verstehen, kann helfen, eine erfüllte und liebevolle Beziehung wiederzubeleben.
Als Neurocoach begleite ich Menschen auf ihrem Weg zu mehr Verbundenheit – mit sich selbst und ihrem Partner. In diesem Artikel nehme ich dich mit auf eine spannende Reise durch die häufigsten Ursachen für sexuelle Unlust in der Beziehung und zeige dir, wie du wieder mehr Nähe, Leidenschaft und Intimität in dein Leben bringen kannst.
Artikeltext: Von wegen Zweisamkeit
Hinter Konflikten in der Partnerschaft stehen oft sexuelle Probleme. Warum Coaches genau hinschauen sollten.
Von Heike Hacke
„Ich fühle mich so einsam“, dieser Ausspruch kommt nicht etwa von einem Single auf der Suche nach einer Beziehung. Dieser Ausspruch kommt von einer Klientin, die ich im Coaching zu ihren Beziehungsproblemen unterstützen darf.
Es ist kein seltenes Phänomen, dass man sich innerhalb einer Beziehung einsam fühlt. Einsamkeit bedeutet nicht nur, alleine zu sein und sich auch so zu fühlen. Sie kann auch ein deutliches Anzeichen dafür sein, sich nicht mit anderen verbunden zu fühlen.
Meine Klientin erzählt von Uneinigkeiten und einer Distanz, die sich die Jahre über zwischen ihr und ihrem Mann aufgebaut hat. „Wir küssen und umarmen uns fast gar nicht mehr. Ich habe immer mehr das Gefühl, ich funktioniere nur noch für die Familie und die Kinder. Für meine Beziehung reicht die Kraft dann nicht mehr. Ich wünsche mir einfach, dass es wieder wie früher wird.“
Auf der Suche nach möglichen Ursachen kommen wir auch auf die Sexualität in der Partnerschaft zu sprechen. Körperliche Nähe kann meine Klientin nicht mehr zulassen.
„Es passiert eigentlich gar nichts mehr bei uns im Schlafzimmer. Wir hatten vielleicht zweimal Sex in zwei Jahren. Als die Kinder gekommen sind, musste ich meine Prioritäten neu ordnen und meine Bedürfnisse hintenanstellen. Ich weiß, dass dieses Thema meinen Mann sehr belastet. Aber bei all dem Stress und den Problemen, die wir haben, kann ich einfach nicht an Sex denken.“
Sexlosigkeit in einer Langzeitbeziehung ist häufiger verbreitet, als man glaubt. Die Gründe hierfür können sich an verschiedenen Stellen befinden. Spreche ich mit Klient:innen über dieses Thema, beginne ich immer mit dem grundlegenden Unterschied zwischen der weiblichen und der männlichen Sexualität.
Der Mann nutzt Sex, um zu entspannen und Druck abzulassen, die Frau kann Sex aber nur im entspannten Zustand zulassen und genießen. Ist sie gestresst, empfindet sie keine Lust auf Sex und erlebt oft auch keinen Orgasmus. Leider ist das gerade Männern oftmals nicht bewusst. Meine Klientin erkennt hierin eines ihrer Probleme.
„Mein Kopf ist ständig voll und wirklich entspannt bin ich selten. Meistens arbeitet mein Kopf trotzdem weiter, auch wenn ich mich ausruhe.“
Weitere mögliche Ursachen für sexuelle Unlust können sein:
Verschwimmende Mutterrolle
Unlust kann auftreten, wenn die Rollen verschwimmen und sich die Frau nur noch auf ihre Mutterrolle fokussiert. Unser gängiges Mutterbild klammert Sexualität aus, daher passt sich die Frau diesem Bild quasi an. Sie stellt ihre Lust einfach ab. Meistens kommt hinzu, dass sich die Partnerin oft um den Mann wie um ihr Kind sorgt. Das fühlt sich zwar für den Mann toll an, aber genau hier können die Grenzen schnell ungünstig verwischen.
Meine Empfehlung: Deutlich die Rollen trennen. Sich hinderlicher Glaubenssätze in Bezug auf die Mutterrolle bewusstwerden und diese auflösen.
Seelischer und körperlicher Stress
Sexuelle Unlust bei Frauen wird durch Stress hervorgerufen, weil Stress viel in unserem Körper durcheinanderbringt. Da hilft nur, genau hinzuschauen und den Stress zu reduzieren, sich um seine Bedürfnisse zu kümmern und Wege aus dem Stresskreislauf zu finden. Wichtig ist, sein Energielevel im Auge zu behalten: Opfert man sich auf und ist immer am Energielimit, so bleibt schlicht und ergreifend keine Kraft mehr für Sex.
Meine Empfehlung: Für regelmäßige Auszeiten sorgen und auch bewusste „Kopfauszeiten“ in Form von Meditation einplanen. So übt man schon mal für das Liebesspiel und schafft es dann leichter, die störenden Gedanken ziehen zu lassen und sich voll in den Moment zu begeben.
Scham
Scham kann häufig der Grund für sexuelle Unlust sein. Je nach Erziehung und dem, was wir über Sex gelernt haben, schämen wir uns zuweilen für unsere Lust, für unsere Genitalien, unseren Körper. Scham lässt unseren Körper erstarren; schämen wir uns vor unserem Partner, verschließen wir uns dem Sex gegenüber. Scham tötet also die Lust.
Meine Empfehlung: Es hilft, sich der Scham zuzuwenden und genau hinzusehen, wann sie auftritt. Welche Glaubenssätze verbergen sich hinter der Scham und wie kann ich diese auflösen?
Unsicherheit in Bezug auf eigene sexuelle Bedürfnisse
Sexualität ist so individuell wie ein Fingerabdruck. So hat jede Frau ihre absolut individuellen Präferenzen, Wünsche und Bedürfnisse. Frauen müssen allgemein lernen, auszudrücken, was sie wollen. Wenn sich das schon in der Beziehung als schwer erweist, wird es im Schlafzimmer selten leichter. Viele Frauen kennen ihren eigenen Körper und ihre eigene Erregung selbst nicht so gut. Das gilt es zu ändern.
Meine Empfehlung: Hier hilft ganz einfach nur ausprobieren. Austesten, was sich gut anfühlt, und was man braucht. Alleine oder mit dem Partner zusammen. Eine offene Kommunikation ist hier sehr wichtig und hilft, wieder Freude an der gemeinsamen Sexualität zu entdecken.
Eine:r fühlt sich nicht geliebt
Liebe zu spüren und sich geliebt zu fühlen ist für viele ein zentraler Punkt in der Beziehungszufriedenheit. Ich arbeite hier gerne mit dem Ansatz des Paarexperten Gary Chapman mit seinen fünf Sprachen der Liebe.
Die fünf Sprachen der Liebe: Lob und Anerkennung, Zweisamkeit, Geschenke, Hilfsbereitschaft und Zärtlichkeit. Für jede:n ist nämlich etwas anderes wichtig, um sich geliebt zu fühlen, da kann man keine pauschale Empfehlung geben.
Meine Empfehlung: Am besten bespricht man mit dem Partner oder der Partnerin, in welcher Sprache man sich selbst wohl fühlt. Wann fühle ich mich wirklich geliebt? Dann tauscht man sich aus und findet neue Wege, die Liebe wieder aktiv für den anderen fühlbar zu machen.
Negative sexuelle Erlebnisse
Natürlich können auch Traumata oder negative sexuelle Erlebnisse der Grund von Unlust sein. Nicht jede Erfahrung hinterlässt gleich ein Trauma, aber sie kann Ursache für eine sexuelle Blockade sein. Dass negative sexuelle Erlebnisse in unserem System verbleiben und uns unter Umständen auch Jahre danach heimsuchen können, ist keine Seltenheit.
Meine Empfehlung: Je nach Erlebnis reicht es, sich dem zuzuwenden und gegebenenfalls Gefühle endlich zuzulassen. Bei Traumata oder größeren Hürden sollte fachmännischer ärztlicher Rat eingeholt werden. Sich mit seiner vergangenen Sexualität auseinanderzusetzen bietet viele Möglichkeiten, wieder Lust zu empfinden.
Zu viel Harmonie und zu viel Gewohnheit
Manchmal entsteht Sexlosigkeit in Partnerschaften, die zu symbiotisch sind. Viele Paare fühlen sich wie Geschwister oder gute Freunde und nicht wie Liebende. Dem Frieden zuliebe widersprechen sie einander selten und nehmen sich nicht mehr als unterschiedliche Menschen wahr. Das hat fast immer ungute Auswirkungen auf den Sex.
Meine Empfehlung: Damit Verlangen entstehen kann, braucht es ein Gegenüber, das zwar nicht komplett fremd ist, aber vielleicht doch ein bisschen. So bleibt es auch im Bett spannend. Mit der kompletten Vertrautheit schwindet das Begehren.
Körperliche Ursachen sind der Grund
Verschiedene Medikamente können die Lust herunterfahren: Antidepressiva, Mönchspfeffer, manche Antibabypillen. Auch ein Mangel an Nährstoffen kann ein Grund sein. Eine Depression belastet die Psyche und die Fähigkeit, Lust zu spüren. Durch das Stillen wird das Hormon Prolaktin ausgeschüttet, das ebenfalls die Lust bremst. Und nicht selten sind nach Geburten auch Dammschmerzen, Schmerzen beim Eindringen und eine trockene Scheide ein unangenehmes Thema.
Meine Empfehlung: Auf die Suche begeben, welche körperlichen Symptome hinter der Unlust stecken. Wenn psychische Faktoren keine Rolle spielen, sollte die körperliche Ebene von einem Arzt angeschaut werden.
Meine Klientin erkennt sich in einigen Punkten wieder: „Ich muss schon zugeben, dass ich mich im Alltag einfach nicht mehr so geliebt von meinem Mann fühle. Und es stimmt, dass ich mir oft vorkomme, als hätte ich mit ihm noch ein weiteres Kind zuhause.“ Sind die Probleme deutlich geworden, finden sich schnell Möglichkeiten, die Themen anzugehen.
„Ich nehme die Liebe meines Mannes durch die Liebessprache Unterstützung wahr, leider blieb das aber eine ganze Zeit lang aus, da mein Mann beruflich selbst sehr eingespannt war. Als ich von den Sprachen der Liebe hörte, wurde mir aber bewusst, dass mein Mann mich häufig lobt und mir dafür dankt, wie ich das alles zuhause manage. Er sendet die Liebe quasi auf einem anderen Kanal. Als mir das bewusst wurde, ging es mir viel besser und ich spürte wieder eine Verbindung zu ihm, die vorher irgendwie abhandengekommen war.“
Als Neurocoach sind mir die chemischen Vorgänge im Gehirn bewusst, die uns eine intakte Sexualität bescheren. Das wichtigste Hormon Oxytocin, welches auch als Bindungshormon bezeichnet wird, spielt hier eine entscheidende Rolle.
Durch Berührungen steigert sich unsere Bindung zu unserem Partner oder unserer Partnerin deutlich. Das heißt nicht, dass man ständig Sex braucht, um eine gute Beziehung zu haben, aber es sollten beide zufrieden mit dem Sexualleben sein. Häufig braucht ein Partner einfach mehr körperliche Nähe als der andere. Wird dieses Bedürfnis auf Dauer nicht gestillt, folgt zwangsläufig irgendwann die gefühlte Einsamkeit.
Ein eingeschlafenes Sexleben erlebe ich bei meinen Klient:innen sehr oft. Bei ungefähr jedem zweiten Beziehungscoaching ist einer der Partner unzufrieden mit dem Sexualleben. Die Klient:innen kommen häufig aus anderen Gründen, etwa weil sie andauernd streiten oder eine:r die Trennung verlangt. Im ersten Moment ist das, worum es wirklich geht, nicht sichtbar. Die Entfremdung passiert häufig, wenn man sich lange nicht mehr für den anderen interessiert hat, sei es sexuell oder im Alltag. Es geht dann darum, sich wieder aktiv für den Partner oder die Partnerin zu begeistern. Es ist wichtig, dass es Dinge gibt, die man gemeinsam machen kann und dass man die Bedürfnisse beider im Blick hat. Hat man sich auf emotionaler Ebene wieder angenähert, fällt Sexualität meist nicht mehr so schwer. Die Lust kommt von alleine zurück.
Ab und zu bedarf es einiger Anreize um, wieder in die aktive Sexualität zurück zu finden.
Mögliche Tipps können sein:
- Mache dir die Lust deines Partners bewusst. Nichts ist für einen Partner aphrodisierender, als begehrt zu werden. Findet Wege und Möglichkeiten, diese Lust dem anderen zugänglich zu machen.
- Erwecke die Lust durch erotische Literatur, spüre wie du deine Erregung wahrnimmst, was dich genau erregt. Man kann sich auch an positive vergangene sexuelle Erlebnisse erinnern. Was genau braucht ein schönes sexuelles Erlebnis für dich? Sorge für möglichst viele dieser positiven Bausteine für einen erneuten Einstieg in euer Sexualleben.
- Nutzt ein ausführliches Vorspiel, um für die notwendige Entspannung zu sorgen. Versucht, den Druck zu reduzieren, Ziel sollte es immer sein, gemeinsam eine schöne Zeit zu erleben.
Gedämpftes Licht sorgt für einen psychologischen Vorteil, was wichtig ist für jene Menschen, die sich bei einer sexuellen Begegnung unbehaglich durch Körperscham fühlen. Gestalte den Ort für dein Liebesspiel ansprechend und sorge dafür, dass du alles bereit hast. So reduzierst du auch Stress. Oder wie wäre es mit angenehmer Beleuchtung? Rotes Licht beispielsweise wirkt auf unser System an- bzw. erregend.
Sollte noch eine zu große Unsicherheit herrschen, kann man damit beginnen, dem Partner oder der Partnerin eine Freude zu bereiten. Die Erregung aktiv zu sehen und zu beeinflussen, kann für die Wahrnehmung der eigenen Erregung förderlich sein.
Der erste Schritt aus der Einsamkeit und der sexuellen Unlust ist, sich selbst bewusst zu machen, dass man sich einsam und unzufrieden fühlt. Und dass etwas in der Beziehung fehlt. Der zweite ist, dies dem Partner oder der Partnerin ohne direkten Vorwurf mitzuteilen, auch wenn man sich vielleicht dabei unwohl fühlt. Denn in dem Moment, in dem ich es laut ausspreche, in dem ich es teile, entsteht automatisch Verbindung.
„Nach zwei Jahren des Nebeneinanderher-Lebens spüre ich endlich wieder eine Verbindung zu meinem Mann. Wir haben offen und ohne Vorwürfe über unsere Liebe und unser Sexleben gesprochen. Jeder konnte dem anderen klarmachen, was er sich von der Beziehung wünscht. Allein das Thema nun gemeinsam mit meinem Mann bewältigen zu wollen, macht die Sache gleich so viel einfacher.“
Häufig stecken sexuelle Themen hinter Beziehungsproblematiken. Ich habe gelernt, lieber einmal mehr nachzufragen. Dies gilt auch, wenn man kein Beziehungscoach ist, denn sexuelle Themen können immer Auslöser oder Begleiter einer anderen Problematik sein. Deshalb ist es so wichtig, sich als Coach mit dem Thema generell etwas vertraut zu machen.
Hierzu gibt ein E-Book meiner Ausbilderin Tanja Klein. Unter dem Titel „Let´s Talk about Sex“ fasst sie treffend einen guten Einstieg in das Thema zusammen und gibt Tipps zum Umgang damit im Coachingkontext.
Allein, sich einzugestehen, die Einsamkeit zu spüren, zu wissen, dass man nicht alleine ist, und dass man etwas gegen die sexuelle Unlust unternehmen kann und will, hilft vielen Klient:innen schon sehr!
Artikel als PDF
Wege aus der Einsamkeit – Wie du Nähe und Intimität in deiner Beziehung zurückgewinnst
Sexuelle Unlust oder ein eingeschlafenes Liebesleben sind kein unausweichliches Schicksal – sie sind ein Zeichen dafür, dass sich etwas in deiner Beziehung verändern darf. Die gute Nachricht: Es gibt zahlreiche Wege, um wieder Nähe, Verlangen und Intimität zu erleben.
Wenn du dich in diesem Artikel wiedergefunden hast und spürst, dass du etwas verändern möchtest, dann fang noch heute an. Sprich mit deinem Partner – offen, ohne Vorwürfe. Setze bewusst kleine Schritte in Richtung mehr Verbindung und Leidenschaft. Und wenn du Unterstützung möchtest, begleite ich dich gerne dabei.
Beitragsbild: Erstellt mithilfe von Midjourney am 30.01.2025